Vorgeschichte

Bei meinem Bericht über die Coppa d’Europa muss ich ein wenig ausholen. Denn wie bin ich überhaupt dazu gekommen, diese Rallye zu fahren? Schließlich habe ich seit über 40 Jahren keine großen Veranstaltungen mehr bestritten. Die letzte war die 10.000 km lange Tour d’Europe 1977. Und auch bei den kleinen Oldtimer-Fahrten starte ich bestenfalls mal alle paar Jahre just for fun.

Coppa d Europa 2019

2018 war es mal wieder soweit. Rolf Döhring wollte mit mir das Gold Race in Jülich fahren. Die Nennung ging raus, doch Rolf musste kurzfristig absagen und informierte den Fahrtleiter Willy Willms, dass wir nicht starten würden. Der rief mich daraufhin an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit Tobias Mattner zu fahren. Tobias ist ein alter Hase, den ich noch – allerdings nur flüchtig – aus den 70ern kenne, als er mit Beifahrer Werner Eismar ein Top-Team bei den Oris hier in der Region bildete. In den 80ern konnte er den Toyota Starlet Cup gewinnen, eine deutliche Duftmarke. Die weitere Rallyekarriere scheiterte wie so oft bei talentierten Fahrern am Geld. In den letzten Jahren fuhr er mit Uwe Materlik viele „Slowly Sideways“-Veranstaltungen unter anderem das Eifel-Rallye-Festival (siehe mein Film über diese Veranstaltung). Nach Uwes Tod 2016 war damit Schluss.

Nun, das Gold Race lief für uns ziemlich durchwachsen. Wir landeten irgendwo im Mittelfeld. Aber Tobias fragte mich anschließend trotzdem, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm 2019 die Coppa d’Europa zu fahren, denn die Chemie zwischen uns würde stimmen. Aus Erzählungen von unserem 1. Vorsitzenden Rainer Keuser wusste ich, die Coppa ist eine ziemlich harte Veranstaltung, ca. 1.500 km lang und nix für Anfänger. Also antwortete ich spontan: „Kommt überhaupt nicht in Frage!“ Tobias bearbeitete mich noch ein bisschen, aber mein No Go stand zunächst mal.

Der Virus aber war gepflanzt und breitete sich aus. Ich begann über die Coppa nachzudenken. Und schließlich: So jung würde ich eine so tolle Rallye nicht noch einmal fahren können. Und diese Veranstaltung, das war klar, würde den Beifahrer bis zum Anschlag fordern. Das war mein Ding! Ein paar Tage später gab ich Tobias das Ok.

Soviel zur Vorgeschichte.

Die Coppa

Natürlich gehe ich eine Rallye wie die Coppa nicht unvorbereitet an. Von Dieter Heinen ließ ich mir die Unterlagen von 2018 schicken und arbeitete sie gründlich durch. Danach hatte ich eine Vorstellung wie der Veranstalter tickt.

Am Mittwochabend (3. April) fahre ich zum Startort nach Maastricht, um an der Vorbesprechung teilzunehmen. Vorher habe ich noch Hubsi Decker im Klinikum besucht, der mich mit einem aufmunternden „Toi, toi, toi“ verabschiedet. Präsident Rainer Keuser mit Co Bernhard Stein sind schon da. Die Ecurie Aix-la-Chapelle ist also mit zwei (halben) Teams am Start. Die Vorbesprechung von Co-Fahrleiter Rudolf Dittmann ist unterhaltsam, aber für mich nicht unbedingt erhellend.

1. Tag

Nach einer kurzen Nacht geht’s los. Tobias holt mich um 5 Uhr 30 in Aachen ab. Eine kleines Frühstück im Starthotel in Maastricht. Unsere Startnummer 62 bedeutet Startzeit 8:02. Wir fahren in der Klasse Coppa Sport, also bei den „Semi-Profis“. Rainer und Bernhard fahren dagegen in der Klasse Coppa Super, also bei den „Profis“, denn  Bernhard hat die Coppa Sport bereits vor zwei Jahren gewonnen. Sie haben die Nr. 90 und gehen um 8:30 auf die Reise.

Zehn Minuten vor der Startzeit gibt es die Unterlagen der ersten Etappe, und wenn man will, kann man danach sofort losfahren, muss also die Startzeit nicht abwarten. Nach einem kurzen Check der Unterlagen entscheiden wir: Losfahren. Kaum 50 Meter nach dem Start der erste Klopper: Schon das zweite Chinesenzeichen hat es in sich. Aber ich bin auf Draht und die erste versteckte SK steht in unserer Bordkarte. Danach bin ich hellwach.

Schon nach wenigen Kilometern stellt sich heraus, dass unsere Entscheidung mit Vorzeit loszufahren goldrichtig war. Im morgendlichen Berufsverkehr ist die vorgeschriebene Sollzeit zum Start der ersten Gleichmäßigkeitsprüfung äußerst knapp. Die ist darüberhinaus auch ein bisschen tricky. Und als wir in der Nähe von Battice zwei fast gleichlange Streckenmöglichkeiten angeboten bekommen, gerate ich richtig ins Schwimmen. Jetzt muss Tobias ran und meine Unsicherheit durch Gas geben kompensieren. Ich hätte mir einen besseren Anfang vorstellen können.

Die Fahrt ins Hohe Venn verläuft entspannt und die zweite Gleichmäßigkeit bei Ovifat ebenso. Weiter geht’s Richtung Süden. Die Auswahl der Strecke gefällt mir gut. So langsam komme ich in den Rhythmus.

Aus dem ich dann schlagartig wieder raus bin, als ich bei Valender einen kapitalen Bock schiesse. Kurz vor dem Start einer GLP stelle ich fest, dass wir noch ca. zehn Minuten Zeit haben. Soviel Vorzeit kann nicht sein. Irgendwo muss ich was ausgelassen haben. Unterlagen überprüfen und…, Scheiße, da habe ich doch tatsächlich eine Ecke von mehreren Kilometern ausgelassen. Also wenden und Stoff! Jetzt muss Tobias richtig ran. Alles nur kleine und kleinste Straßen, Wirtschafts- und Waldwege, alles am Limit, alles volles Rohr. Kontrolle geholt, aber auch ordentlich Verspätung. In der Hektik dann eine andere Kontrolle geschlabbert. Ich bin sauer auf mich. Das hat nicht sein müssen.

Bald ist die deutsche Grenze erreicht, die Fahrt kommt jetzt in ruhigeres Fahrwasser. Leichter Dauerregen begleitet uns. Die als „Tests“ bezeichnete Prüfungen beim „Schwarzen Mann“ in der Schneifel fahren wir mit „Null“. Bis zur Pause in Bad Bertrich gibt es dann keine besonderen Vorkommnisse mehr. Dort treffen Rainer Keuser und Bernhard Stein erst mit ziemlicher Verspätung ein. Beide sind nicht zufrieden. Rainer meint, um die Zeiten zu halten, müsse er immer am Limit fahren.

Auch nach der Pause läuft es für uns entspannt. Wunderschöne Streckenführung durch Eifel und Hunsrück, Test Nr. 2 ebenfalls mit „Null“ und eine relativ leichte Aufgabenstellung (wobei „relativ leicht“ der eine oder andere Teilnehmer nicht so sehen wird). Wir cruisen Richtung Kaiserlautern.
Auf der ehemaligen WP Waldleinigen-Weidenthal der Rallye Vorderpfalz – die habe ich in den 70ern als Lauf zur Deutschen Rallyemeisterschaft vier Mal gefahren – müssen wir eine weitere GLP mit einem 49,9 km/h Schnitt fahren. Ich erinnerte mich daran, dass das Team Achim Warmbold/Hanno Menne (Toyota Celica Gr.2) bis heute auf dieser Kurvenorgie durch den Pfälzer Wald die ewige Bestzeit hält: 9’32“ für 17,2 km, 108,25 km/h, der pure Wahnsinn!!!
Gegen 19 Uhr erreichen wir das Martim-Hotel in Mannheim. Tobias und ich sind nach über 500 km und einem langen Tag ziemlich fertig. Die Überprüfung der in der Hotellobby ausgehängten Ideal-Bordkarte ergibt: Mir fehlten vier Kontrollen. Keine Ahnung, wo die standen. Ich bin sauer!
Im Gegensatz zu Tobias. Der versucht mich aufzumuntern, meint dass alles superflüssig gelaufen sei und ihm viel Spaß gemacht habe. Na ja! Auch Rainer und Bernhard sind alles andere als glücklich mit dem bisherigen Verlauf.

2. Tag

Frühstück am nächsten Morgen und auf dem Weg dahin laufe ich am Aushang der Zwischenergebnisse vorbei. Ich suche uns erst weiter unten so zwischen Platz 10 und 20. Aber da sind wir nicht. Der Blick nach oben läßt die Sonne scheinen: Platz 2!  Damit habe ich nicht gerechnet. Vor uns nur Axel und Andrea Prym im Porsche 912. Jetzt schmeckt auch das Frühstück. Tobias ist megahappy, singt eine Lobeshymne nach der anderen auf meine Beifahrerkünste, dass es mir fast peinlich ist.

Wir machen uns um 9:02 auf die Reise, die uns zuerst wieder in den Pfälzer Wald führt. Es gibt nur wenige Straßen dort, alle Wege links und rechts sind gesperrt, so dass die Streckenführung vermeintlich leicht scheint. Trotzdem lasse ich wieder drei Kontrollen liegen. Eine davon allerdings unter tatkräftiger Hilfe der Polizei. Als wir uns gerade in den Wald schlagen wollen, um eine Ecke auszufahren, kreuzt eine Streife auf und meint, wir würden über einen Radweg fahren. Das sei verboten. Auch unser Hinweis, dass dort kein Schild „Radweg“ stehe, hielt unsere Freunde und Helfer nicht davon ab. Wir wurden verwarnt und fuhren ohne die Kontrolle weiter.

Eine weitere Kontrolle, soviel kann ich heute nach Bekanntgabe der Idealstrecke sagen, kann man auch nach zehnmaligen Durchlesen der Ausführungsbestimmungen nicht finden. Warum man sie hätte anfahren sollen, bleibt auf ewig das Geheimnis des Fahrtleiters René Smeets. Wie überhaupt der Fahrtleiter manches Geheimnis hat, doch davon später mehr. Die dritte Kontrolle geht auf meine Kappe. Pause dann am ehemaligen Bahnhof in Reichenbach, im schönen, für seine Kletterfelsen bekannten Dahner Felsenland.

Mit der vierten Etappe erreichen wir Frankreich. Und jetzt kommen die schönsten Strecken der gesamten Rallye. Landschaftlich ähneln die Nord-Vogesen dem Pfälzer Wald, nur hier können wir zahlreiche öffentliche Waldwege befahren. Und davon wird reichlich Gebrauch gemacht. Tobias ist aus den Häuschen. Ich aber auch.

Die Aufgabenstellung wird schwieriger und als wir das kleine Städtchen Ingwiller erreichen, tut sich ein weiteres ewiges Geheimnis des Fahrtleiters auf. Wir kommen jedenfalls heftig ins Kreisen, fahren hin und her, finden aber trotzdem keine plausible  Lösung. Damit sind wir aber in guter Gesellschaft. Auch die anderen Teilnehmer kommen aus jedem Mauseloch. Unsere Verspätung muss Tobias wie gewohnt durch Brettern wieder reinholen, was ihm aber offensichtlich jede Menge Spaß macht.

Auch als wir die Nord-Vogesen verlassen und durch das Département Moselle uns wieder der deutschen Grenze bei Saarbrücken nähern, bleiben die Strecken schön. Diese vierte Etappe ist ein echtes Highlight.

Das Abendessen im Victor’s Residenz Hotel in Saarbrücken findet in gelöster Stimmung statt. Wir haben inzwischen eine kleine deutsch-belgische Gruppe gebildet, zu der neben Rainer, Bernhard, Tobias und mir auch noch Marc Kistemann mit Co. Frank Frankenberg gestossen ist. Die sind mit ihrem 6. Platz in unsere Klasse ebenfalls hochzufrieden, denn Frank macht den Job als Beifahrer bei der Coppa ebenfalls zum ersten Mal. Es gibt also viel zu bereden.

3. Tag

Wie am Vortag vor dem Frühstück ein Blick auf’s Zwischenergebnis. Ich werde schon empfangen: „Hast Du gesehen? Ihr liegt punktgleich auf Platz 1.“ Ex aequo mit dem Ehepaar Prym. Wir haben aufgeholt.

Vom Saarbrücker Hotel geht’s wieder schnurstracks nach Frankreich. In dieser fünften Etappe werden die Kontrollen vom Fahrtleiter in zahlreichen Kartenfehlern (alte Straße/neue Straße) und winzigen Ecken versteckt. Uns hilft oft unser guter Riecher, so dass wir kaum Fehler machen. Allerdings werde ich auch mit manchem Rätsel konfrontiert, das ich auch Tage später nach Bekanntgabe der Idealstrecke nicht lösen kann. Sei’s drum. Hauptsache der Fahrtleiter weiß, was gemeint ist.

Im Forêt Dominale de Walscheid dürfen wir wieder über phantastisch schöne Waldwege fahren. Hinter uns tauchen plötzlich die Pryms auf. Sie haben es sehr eilig, wir machen Platz und lassen sie vorbei. Da sie über eine ¼ Stunde vor uns gestartet sind, haben wir wohl weiter an Boden gewonnen. Nach der Mittagspause läuft es für uns zunächst recht ruhig, bis ich wieder einen zwar seltenen, dafür aber ziemlich tiefen Griff ins Klo mache. Jetzt muss Tobias wieder ran und meinen Fehler durch beherzte Fahrweise ausbügeln.

Die Strecke führt jetzt in nordwestliche Richtung. Wir fahren an Metz vorbei und nähern uns der luxemburgischen Grenze. Bei Cattenom – Atomkraftgegnern stellen sich bei diesem Namen die Nackenhaare auf – schlabbere ich durch Unachtsamkeit wieder eine Kontrolle. Aber ansonsten läuft es für uns flüssig. Mit einem guten Gefühl laufen wir am Ziel in Munsbach (Lux.) ein.

Noch am gleichen Abend gibt es die Siegerehrung. Tobias und ich gewinnen die Klasse „Coppa Sport“. Axel und Andrea Prym, mit denen wir lange um den Sieg gekämpft haben,  belegen den zweiten Platz. Unsere belgischen Freunde Kistemann/Frankenberg halten ihren 6. Platz. In der Klasse „Coppa Super“ können Rainer Keuser und Bernhard Stein den 11. Platz belegen.

Vergleicht man aber die Strafpunkte, waren Rainer und Bernhard kaum schlechter als wir. In der Klasse „Coppa Super“ wären wir nur auf Platz 8 gelandet. Das zeigt, dass hier die Konkurrenz erheblich härter ist. Soviel steht aber fest: Tobias und ich werden auch 2020 an den Start gehen, dann aber bei den „Profis“.

Fazit

Zwei Anmerkungen zum Schluss: Die Streckenführung war mit einem Wort gesagt EXZELLENT. Leider habe ich nicht alle Rätsel des Fahrtleiters verstanden. Ich bin sogar der Meinung, dass die Veranstaltung alles andere als fehlerfrei war. Einerseits legt der Fahrtleiter großen Wert auf Exaktheit und stellt die Kontrollen entsprechend auf. Andererseits vermisse ich diese Exaktheit immer wieder, was dazu führt, dass die vorgesehene Idealstrecke nach meiner Meinung an mehreren Stellen nicht stimmt. Da sich aber niemand beschwert, wird Fahrtleiter René Smets uns wohl auch im nächsten Jahr mit solchen Ungereimtheiten konfrontieren. Und das ist schade.

Das letzte Wort widme ich meinem Fahrer. Seit ich in den 70ern mit dem aktiven Rallyesport aufgehört habe, bin ich mit keinem Fahrer mehr gefahren, der so komplett ist. Wer meine Rallye-Vita kennt, weiß welche Kaliber damals darunter waren. Tobias pflegt einen super präzisen Fahrstil, findet immer die richtige Linie, fährt genau das Tempo, welches der Situation angemessen ist. Ich habe mich während der ganzen Coppa nicht eine Sekunde mit den Unzulänglichkeiten meines Fahrers beschäftigen müssen, ganz einfach, weil es sie nicht gab.

Tino Schunk

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