Lange ist es her und noch immer infiziert

Vorbemerkungen von Tino Schunk

Als ich den Forumsbeitrag, der sich auf einen vorangegangenen Post bezieht, eher zufällig gelesen hatte, war ich erst einmal völlig von den Socken. Ich konnte mich zwar noch sehr genau an dieses Hunsrück-Wochenende erinnern, aber nicht, dass wir da jemanden unter unsere Fittiche genommen hatten.

Ich habe dann Kontakt zu „le moulinon“ aufgenommen, und wir haben uns dann in Ludwigshafen getroffen. Der Mann ist ein lebendes Archiv. Unglaublich, welches Detailwissen der hat. Jedenfalls bin ich stolz, dass es mir völlig ohne Absicht gelungen ist, jemanden vom Rallyesport so zu begeistern, dass er diesen Sport anschießend erfolgreich bestritten hat.

Zum Verständnis des Berichts sollte man noch anmerken, dass es sich um einen Forumsbeitrag handelt, der sich am Anfang auf einen vorangegangenen Post bezieht.

Der Text von „le moulinon“ aus dem „forum.rallye-magazin.de":

 40 Jahre "STH-Hunsrück-Rallye" 1977 bis zum "Hunsrück-Rallye-Sprint" 2017

Die 1977er Hunsrück, über die Du hier geschrieben hattest, hatte auch für mich eine ganz wichtige Rolle in meinem Verhältnis zu unserem geliebten Sport gespielt. Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich Deinen Thread nutze, um meinen Blickwinkel auf diese besondere Rallye zu schildern. Deshalb hier etwas ausführlicher, wie ich mich bei genau dieser Veranstaltung mit dem Rallye-Virus infiziert hatte.

Es fing sogar schon im Jahr 1976 an. Ich war damals auch Student und einer aus unserer Clique kam aus Idar-Oberstein. Durch genügend Übung über einige Semester hinweg ist es uns gelungen, seine zunächst unverständliche Sprache verstehen zu lernen. Und eines der wichtigsten Worte aus seiner Heimat hieß „Spießbroode“. Deshalb haben wir gerne seine Einladung angenommen, ihn an einem Wochenende im Mai zu Hause zu besuchen. Der Spießbraten und das Kirner Pils standen eindeutig im Vordergrund unseres Besuchs, aber für den Samstagnachmittag kam der Vorschlag. Es läuft hier gerade die Hunsrück-Rallye und auf Wäschertskaulen kann man dort zuschauen.

Zur Erläuterung: Das war ein Zuschauer-Rundkurs oberhalb von Idar, allerdings nicht ein modifizierter Slalom wie letzte Woche in Mexico City, sondern ein Kurs auf schönstem Schotter mit echter Rallye-Atmosphäre. Wir also dorthin, Eintritt bezahlt und festgestellt, dass diese Form Motorsport eigentlich viel mehr Spaß macht als die DTM in Finthen oder die Formel 1 in Hockenheim, die ja damals zumindest noch bezahlbar war.

Aber in den Medien führte der Rallyesport ein ziemliches Schattendasein und dass man dort extra zum Zuschauen hinfährt, war absolut unüblich. Doch das Interesse war zumindest einmal geweckt. Ich kaufte ab dann auch regelmäßig die ‚Rallye Racing‘, in der zu lesen war, dass ein Walter Röhrl das Zeug zum Weltklassefahrer gehabt hätte, wenn er nicht gerade in einem total unzuverlässigen Kadett dauernd ausfallen würde. Und in einer ‚Rallye Racing‘ im Jahr 1977 war ein faszinierender Artikel über einen verrückten Finnen, der in Neuseeland x-mal abgeflogen war, es aber trotzdem geschafft hatte, seinen fast schrottreifen Escort auf Platz 2 zu fahren. Sein Name Ari Vatanen.

Da der Prozentsatz weiblicher Studenten an einer Technischen Uni erfahrungsgemäß sehr überschaubar war, orientierten wir uns in unserer Freizeit mehr nach Mainz, wo das Verhältnis ein wesentlich ausgeglicheneres war. Eines der Mädels, die wir dort kennen gelernt hatten, feierte an einem Donnerstagabend Geburtstag. Da man nicht riskieren wollte, bei der Heimfahrt nach der Feier den Führerschein zu gefährden, wurde neben dem Geburtstagsgeschenk auch gleich noch Luftmatratze und Schlafsack in den Kofferraum gepackt.

Nach durchfeierter Nacht war man am Freitag früh wieder zeitig wach. Es standen ja noch wichtige Vorlesungen an der Uni auf dem Stundenplan. Doch beim Frühstück fiel mir zufällig die örtliche Zeitung in die Hände. Und dort war zu lesen, dass im Laufe des heutigen Tages im Raum Idar-Oberstein die Hunsrück-Rallye gestartet würde, und dass neben solch bekannten Fahrern wie Stig Blomqvist, Tony Pond oder Lars Carlsson eben auch Walter Röhrl und der besagte Ari Vatanen am Start sind. In diesem Moment wurde von mir ganz flexibel die Entscheidung getroffen, die wichtigen Vorlesungen heute mal ausfallen zu lassen und statt dessen lieber alleine Richtung Idar-Oberstein zu fahren.

Ohne Ahnung, wo und wann dort was abläuft, steuerte ich zunächst mal den Parkplatz am Merian-Hotel in Idar an. Denn ich wusste noch von unserem zufälligen Besuch im Vorjahr, dass dort die Rallyeautos nach der Veranstaltung abgestellt waren. Und welch großes Glück. Dort fand ich ein Hinweisschild, dass in besagtem Hotel das Pressezentrum der Rallye war. Ohne Presseausweis half mir das erst einmal nicht weiter. Und die später so legendären Pfadfindermappen gab es damals noch nicht.
Aber ich kam ins Gespräch mit einer netten Dame, die dort Dienst tat. Später erfuhr ich auch ihren Namen. Es war Waltraud D., später unter ihrem Ehenamen besser bekannt als Opel- und Citroen-Werksfahrerin und als langjährige Rallyesekretärin der Deutschland-Rallye. Während unserer netten Unterhaltung war Waltraud kurzfristig durch ein Telefongespräch abgelenkt und ich nutzte schnell die Gelegenheit -inzwischen ist die Sache ja glücklicherweise verjährt- einen Satz Presse-Unterlagen zu stibitzen.

Jetzt hatte ich schon ein paar Informationen mehr. Allerdings waren darin auch keine WP-Pläne drin, sondern neben der Starterliste nur ein paar ausgewählte Zuschauerpunkte. Die Rallye war ja damals noch komplett untrainierbar und es wurde ohne Aufschrieb auf Sicht gefahren. Insofern war die Geheimhaltung sehr konsequent durchgezogen. Ich wusste aber zumindest, wo und wann es in der nächsten Stunde etwas zu schauen gab. Ich machte mich also auf den Weg zur Reichenbacher Brücke.
Kaum dort angekommen, staubte der Porsche von Röhrl und danach all die anderen Asse den Schotterweg von der Brücke Richtung Maiwald herunter. Sprachlos und ergriffen verfolgte ich das Spektakel. Entlang der Stecke standen einige Zuschauer, aber lange nicht so viele wie einige Jahre später als detaillierte Infos für Zuschauer in Mode kamen. Neben mir war eine Gruppe, die offensichtlich auf ein ganz spezielles Team wartete. Nachdem wir ins Gespräch gekommen waren, erfuhr ich, dass sich in der Gruppe die Freundin von Hanno Menne befand.

Dieser ehemalige Deutsche Rallyemeister war damals Beifahrer im Opel-Werks-Team. Mit bei der Gruppe war auch Tino S., der zusammen mit Hanno einige Jahre zuvor Gründungsmitglied eines sehr aktiven Aachener Motorsportclubs war. Gemeinsam diskutierten wir, was wir nach der Maiwald-Prüfung machen sollten. Sowohl meine Presseunterlagen als auch deren Infos vom Opel-Service waren sehr spärlich, was den Rest des Tages betraf. Tino erzählte, dass er schon öfters als Beifahrer bei der Hunsrück unterwegs war und dass er sich recht gut auf Baumholder auskennt. Er schlug vor, dort auf gut Glück einen schönen Platz als nächsten Zuschauerpunkt zu suchen. Ich sollte einfach hinter ihnen her fahren.

Sehr trickreich haben wir dann einen nicht durch eine Schranke versperrten Weg auf den Übungsplatz gefunden und ich staunte nicht schlecht, als meine neu gewonnenen Aachener Freunde plötzlich über eine schon ausgepfeilte WP-Strecke fuhren. Was blieb mir übrig als zu versuchen hinten dran zu bleiben. Und immer mit der Angst im Nacken, dass Walter Röhrl plötzlich von hinten angeschossen kommt. Nach mir endlos erscheinenden Kilometern parkten die Aachener ihr Auto gut getarnt im Wald und ich sehr erleichtert dahinter. Nicht weit davon entfernt war eine wunderschöne Ecke zum Zuschauen: Ganz lang gezogene Links auf breitem Beton in Abzweig Rechts auf Schotter.

Die dort postierten Streckenposten waren etwas verwundert, wo wir herkämen und sprachen uns auch gleich auf zwei Pkws an, die sich auf der Strecke befinden sollten. Wir erklärten Ihnen, dass wir die beiden Autos gesehen hätten, wie sie die Strecke verlassen hätten und Richtung Idar-Oberstein abgebogen wären. Diese Info wurde über Funk weitergegeben und hatte die Situation wohl für alle Beteiligten ziemlich entspannt. Auf die Frage, wann denn die WP gestartet würde, konnten die Streckenposten keine Auskunft geben. So saßen wir eine ganze Zeitlang im Gras. Um uns rum brummte es aus allen Richtungen. Nur bei uns kam erstmal kein Rallyeauto vorbei. Trotzdem wurde es mir nie langweilig, weil ich voller Neugier den Erzählungen der neu gewonnenen Rallye-Freunde lauschte. Mir wurde in diesen Stunden Wartezeit deutlich, dass dieser Sport nicht nur ganz besonders spektakulär ist, sondern dass auch die Menschen in diesem Sport ganz besonders sein müssen.
Endlich ging es dann auch bei uns rund. Walter Röhrl war leider schon ausgefallen, weil der Team-Manager von Achim Warmbold ihm ins Auto gefahren war und den Ölkühler zerstört hatte. Trotzdem waren noch genug Autos im Feld, die an dieser spektakulären Ecke ein tolle Show geboten hatten. Das war aber alles nichts gegen das, was Ari Vatanen dort gezeigt hatte. Wesentlich später bremsend als alle anderen fuhr er die lange Links in einem einzigen Drift so exakt durch, dass er fast ohne Geschwindigkeitsverlust im Gegenschwung die enge Rechts in Schotter nehmen konnte. So etwas Artistisches habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich war total fasziniert von dieser Fahrzeugbeherrschung.

Aufgrund der langen Wartezeit war es schon ziemlich spät geworden, dass es zeitlich nicht mehr für die abschließende Zuschauer-WP auf Wäschertskaulen gereicht hatte. Ich folgte meinen erfahrenen Rallyefreunden bis wir wieder außerhalb des Übungsplatzes waren, bedankte mich für die Lotsendienste und verabschiedete mich. Nach einem oder zwei Bier und einer Kleinigkeit zu essen musste ich mir ja noch ein Nachtquartier suchen. Ein Hotel konnte ich mir als Student nicht leisten, aber ich hatte ja glücklicherweise vom Abend zuvor noch Luftmatratze und Schlafsack im Auto. So suchte ich mir also ein schönes Plätzchen am Waldrand, platzierte die Luftmatratze so gut es ging im erweiterten Kofferraum meines Polo und verbrachte dort eine ziemlich kurze Nacht.

Denn die Rallye ging ja am Samstag sehr zeitig wieder weiter und meinen Presseunterlagen war zu entnehmen, dass die erste WP auf Baumholder ein Rundkurs über 99 Kilometer war mit dem schönen Namen „Morgengruß“. Als Zuschauerpunkt wurde eine Stelle auf dem Übungsplatz empfohlen, die ich dank meines Presseschilds offiziell anfahren durfte.

Diese Stelle ist inzwischen wohl jedem Rallyefan bekannt, die legendäre Panzerplatte. Das Ganze aber nicht mit Tausenden von Zuschauern, sondern mit noch nicht einmal hundert Beobachtern. Aber ich glaube für jeden, der zum ersten Mal dorthin kommt, hat dieser Zuschauerpunkt erst mal einen „Wow“-Effekt. Man wusste gar nicht, wo man überall hinschauen sollte, zumal die Prüfung noch einen hohen Schotteranteil hatte, was leider beim heutigen WM-Lauf nicht mehr der Fall ist.
Ich traf dort auch wieder meine Aachener Freunde vom Vortag. Sie erzählten mir, dass sie inzwischen einen Platz im Auto frei hätten und ob ich nicht mitfahren wollte. Gerne nahm ich das Angebot an. Wir hatten für den zweiten Tag etwas aussagekräftigere Infos, wo und wann es etwas zu sehen gab. Unter anderem auch diverse WPs außerhalb des Truppenübungsplatzes. Ich war total fasziniert, mit welcher Sicherheit der erfahrene Beifahrer Tino aus der Karte lesen konnte und mit welcher Präzision er den Fahrer immer auf die richtigen Wege lotste.

Teilweise hatte er aus der Karte Kurvenradien und Abstände herausgelesen, die er seinem Fahrer ähnlich wie einen Aufschrieb vorgebetet hatte. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt niemals gedacht, dass ich Jahre später genau diese Fertigkeit auf der damals noch untrainierbaren RAC-Rallye auch erfolgreich würde anwenden können. So verbrachten wir gemeinsam einen begeisternden Rallye-Samstag, an dem wir wesentlich mehr Rallye-Action zu sehen bekommen haben als am Tag zuvor.
Voller Eindrücke kam ich an diesem Abend zu Hause an und ich war felsenfest davon überzeugt, dass dies ein Sport ist, mit dem ich mich unbedingt in Zukunft intensiver beschäftigen möchte. Mein noch im gleichen Jahr an einem Fels zerschellter Polo machte mir allerdings überdeutlich klar, dass ich als Fahrer wohl doch nicht über ausreichendes Talent verfüge. Aber im folgenden Jahr holte ich als Beifahrer meinen ersten Pokal bei einer Orientierungsfahrt. Darauf folgten diverse Jahre im Clubsport, bis ich es dann irgendwann geschafft hatte, auf dem heißen Sitz eines Werksautos zu landen.

Und ich hätte es am Abend meiner ersten so intensiv erlebten Hunsrück-Rallye nicht zu träumen gewagt, dass ich mich bei der gleichen Rallye genau zehn Jahre später auf dem Siegertreppchen wiederfinden würde.

Christoph Schömer

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